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> Amoklauf in Winnenden und Wendlingen, Fassungslosigkeit - Wie konnte so etwas schon wieder passieren?
Phoenix Bay
Beitrag 15.Mar.2009 - 15:04
Beitrag #1


Naschkatze
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Nun ist es vier Tage her, dass der 17 jährige Tim K. in seiner damaligen Schule
und später auf der Flucht in dem Ort Wendlingen 15 Menschen und später sich
selbst erschoss. Sein Motiv ist bis heute noch unklar. Viele Medien berichten über
Depressionen die er hatte. Er wurde behandelt, so heißt es von einigen. Doch
andere behauptet genau das Gegenteil. Nun kommt auch wieder die Kontroverse
der sogenannten Schießspiele auf. Sind sie Schuld daran, dass aus virtueller
Brutalität Wirklichkeit wurde? Oder kann man sein Vorgehen auf die Erziehung
zurückführen? Was kann man tun, um ein nächstes Mal zu verhindern?
Was meint ihr?

Amoklauf von Winnenden und Wendlingen


Liebe Grüße

Phoenix
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shark
Beitrag 15.Mar.2009 - 15:48
Beitrag #2


Strösenschusselhai
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Hallo, Phoenix,

ich denke, eine der grundsätzlich sinnvollen Massnahmen, um künftig zu verhindern, dass Jugendliche überhaupt an Schusswaffen gelangen können, wäre ein generelles Verbot, in Privathäusern Waffen und Munition aufzubewahren.
Statt dessen sollten die Schützenvereine gezwungen sein, sichere Waffentresore und Munitionslager bereitzustellen, in welchen die Waffen der Mitglieder verwahrt werden.

Eine Schusswaffenbesitzkarte zu bekommen, ist in den zurückliegenden Jahren für Privatpersonen immer schwieriger geworden - und das ist mE auch richtig so.
Dass Waffen jedoch in Privathäusern unkontrolliert aufbewahrt werden dürfen, ist ein Unding.

Kein Mensch braucht zuhause eine Pistole, einen Revolver oder ein Gewehr!

Und das sage ich, obwohl ich selbst lange Jahre meines Lebens Grosskaliber geschossen habe und sich durchaus auch in unserem Haushalt zu dieser Zeit stets mehrere Schusswaffen befanden.

Auch mein Vater hatte diese nicht ordnungsgemäss aufbewahrt (Munition und Schusswaffen sind getrennt voneinander sicher einzuschliessen); ein Revolver lag zum Beispiel immer geladen und ungesichert in seiner Nachttischschublade.

Und ich weiss auch, dass viele unserer Kollegen und Kolleginnen im Verein ebenso fahrlässig mit ihren Handfeuerwaffen umgegangen sind.

Das fand ich schon damals unglaublich.

Herausgenommen wurden meine Waffen von mir immer nur zum Zweck der Reinigung.
Und das hätte ich durchaus auch im Verein machen können.

Also: Schusswaffen und Munition raus aus Privathaushalten - das zuallererst. Und wenn sich die Waffenlobby noch so sträubt. Da gehört ein Gesetz her und zwar schnell!

Genauso wie ich der Ansicht bin, dass es grundsätzlich für die Aufnahme in einen Schützenverein eine Art "Wesenstest" geben müsste. Dieser bietet zwar - wie beim "Wesenstest" für Hunde - keine 100%ige Sicherheit, aber ich denke, ein paar gefährliche Feuerwaffenfreaks könnten so schon ausgesiebt werden.

Und: Es sollte verboten sein, dass überhaupt ein minderjähriger Mensch eine Waffe in die Hand nimmt.
Keine jugendlichen Mitglieder in Schützenvereinen also!

Dass aber überhaupt ein junger Mensch (und meist sind das ja junge Männer) auf den Gedanken kommt, mit einer Schusswaffe loszuziehen und herumzuballern, liegt nicht an den Waffengesetzen dieses Landes.

Ich habe die Idee, es könnte - gerade weil es so viele junge Männer sind, die zum Täter werden - mit daran liegen, dass diese Jungen nicht in der Lage sind, ihre Empfindungen zu äussern.

Ein trauriges, einsames oder verzweifeltes Mädchen darf sich um Hilfe an einen anderen Menschen wenden - es wird geradezu gesellschaftlich erwartet, dass es das tut. Und es hat in weit mehr Fällen als das bei Jungen der Fall ist, auch eine Sprache dafür.

Jungen hingegen sollen in vielen Familien, aber auch noch immer in Bezug auf ihre Funktion in der Gesellschaft, eher hart und stark sein - oder zumindest so tun. Und: sie haben oft keine Sprache für Gefühle, sind sprachlich viel häufiger insgesamt unterentwickelter als Mädchen.

So ein "Indianer" sucht sich dann oft "starke" Vorbilder; und wenn er das nur tut, um seine eigene Schwäche mal ein bisschen zu vergessen. Alles das, was er nicht ist, von dem er aber denkt, dass er es sein sollte, findet er bei diesen mächtigen, männlichen Vorbildern. Er eifert ihnen vielleicht nach und will es ihnen gleichtun.

Nun haben aber viele Kinder heute sowieso kaum "lebende" Vorbilder. Sie streben solchen Idolen nach, die entweder so weit von ihrer - zum Teil ja wirklich miesen - Lebenswirklichkeit entfernt sind, dass sämtliche Objektivität verloren geht (sogenannte "Stars") oder sie nehmen sich gleich völlig realitätsferne, ganz und gar künstliche Figuren zum Vorbild (Figuren aus Kampfspielen, Figuren aus Filmen etc.).

Oft erlebe ich das schon bei kleinen Jungs.

"Ich bin Elanus!", brüllt ein kleiner Bursche und schwingt einen riesigen Ast über dem Kopf - und ein Blick in seine Augen sagt deutlich, dass er wirklich Elanus "ist" in diesem Moment. Und Elanus zögert eben nicht, dem "Feind" eins überzuziehen. Auch wenn dieser "Feind" eigentlich ein Schulfreund ist, der gerade zufällig vorbeikommt.

Oder auch schon bei diesen Pokemon-Sammelkarten... Da identifiziert sich ein 6-jähriger, kleiner Bursche so sehr mit seiner Lieblingsfigur, dass er seinen Kameraden mit der Faust ins Gesicht schlägt, weil der die Karte vorher absichtlich (und zum Zeichen seiner Geringschätzung für diese Figur) auf den Boden geworfen hat.

Diese Kinder flüchten in Parallelwelten, in welchen sie nur ein Ziel haben: sich gross und mächtig, stark und unverwundbar zu fühlen.

Die kleinen Buben, die mit solchen Dingen nicht so viel anfangen können, für die ein Computerspiel (auch ein "Kampfspiel") nur EINE unter vielen Spielmöglichkeiten ist, sind meist diejenigen, deren Eltern von Anfang an keine "Indianer" aus ihnen machen wollten, sondern sich auf die Persönlichkeit ihres Kindes eingelassen und seiner Entwicklung Raum gegeben haben. Diese Kinder können auch viel besser artikulieren, was sie stört, ihnen wehtut oder was sie unglücklich macht. Sie haben die "Vokabeln" dafür gelernt, sind durch sie verstanden worden und haben den Nutzen der Sprache in der Kommunikation erkannt.
Nur: die gelten unter den anderen Buben oft nicht als "richtige Jungs"...

"Kampfspiele" an sich sind mE nicht gefährlich - gefährlich sind die Umstände, die Kinder und Jugendliche dazu treiben, sich vollkommen in deren Universum einzurichten, anstatt im realen Leben ihren Platz zu finden.
Kinder, die nur oder fast ausschliesslich Eigenwahrnehmungen in einer virtuellen Welt machen können, erlangen ein völlig falsches Selbstbild und bleiben dauerhaft der Realität unterlegen.

Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft einen klassisch feministischen Gedanken wirklich aufgreift und in der Erziehung und Begleitung von Kindern umsetzt - nämlich den, dass wir alle Menschen - und nicht zuerst mal Mädchen und Jungs, Frauen und Männer - sind. Und dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, Gefühle zu zeigen und darin bestärkt und dafür anerkannt zu werden.
Auch Jungs.
Und zwar bevor sie zur Waffe greifen.


shark


edit: Interessant ist, was die Neurowissenschaften zum Thema "Kinder und virtuelle Welten" herausgefunden haben.
Es gibt Hirnareale (z.B. der dorsale Frontalkortex), die recht spät im Leben eines Menschen reifen (erst ab ca. 17 Jahren) und damit auch erst spät als Kontrollinstanz funktionieren.
Da erklärt es sich von selbst, dass dauerhafter "aufenthalt" in "virtuellen Realitäten" am Computer Kindern Situationen aussetzt, welchen sie entwicklungsbedingt noch längst nicht gewachsen sind und die sie von der Realität nicht unterscheiden können.
Und dass es schwerwiegende Folgen für deren Selbstwahrnehmung haben wird, wenn sie kein Gegengewicht in der realen Welt finden können.

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 15.Mar.2009 - 16:37
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inna
Beitrag 16.Mar.2009 - 12:20
Beitrag #3


Fürstin Pückler
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QUOTE
Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft einen klassisch feministischen Gedanken wirklich aufgreift und in der Erziehung und Begleitung von Kindern umsetzt - nämlich den, dass wir alle Menschen - und nicht zuerst mal Mädchen und Jungs, Frauen und Männer - sind. Und dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, Gefühle zu zeigen und darin bestärkt und dafür anerkannt zu werden.
Auch Jungs.


(IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif) da kann ich nur zustimmen! ich denke auch, dass dies das eigentliche problem ist... und ich finde es ziemlich bedenklich, dass dies in der öffentlichkeit/den medien niemals angesprochen wird. im gegenteil: es wird meistens behauptet die amokläufer der letzten jahre hätten keinerlei gemeinsamkeiten (was offensichtlich falsch ist, denn sie sind alle männlich). unglaublich finde ich auch, dass niemals thematisiert wird, dass in winnenden fast nur frauen zu den opfern zählen! hätte der täter fast ausschließlich kinder mit migrationshintergrund ermordet, dann wäre hundertprozentig ein fremdenfeindliches motiv in den medien diskutiert worden.

ich habe jedoch nur einmal die frage an einen psychologen gehört: könnte das motiv frauenhass gewesen sein? und dieser (wohlgemerkt) mann antwortete allen ernstes: "es wäre falsch solche schlüsse zu ziehen. der grund dafür, dass größtenteils frauen erschossen wurden läge vermutlich daran, dass die jungen, als der bursche mit der waffe reinkam, geistesgegenwärtig unter den tisch gesprungen wären und die mädchen vor schreck erstarrt sind... " (IMG:style_emoticons/default/wacko.gif)
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mosetsana
Beitrag 16.Mar.2009 - 13:16
Beitrag #4


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ZITAT(shark @ 15.Mar.2009 - 15:48) *
Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft einen klassisch feministischen Gedanken wirklich aufgreift und in der Erziehung und Begleitung von Kindern umsetzt - nämlich den, dass wir alle Menschen - und nicht zuerst mal Mädchen und Jungs, Frauen und Männer - sind. Und dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, Gefühle zu zeigen und darin bestärkt und dafür anerkannt zu werden.
Auch Jungs.


Ich will da auch zustimmen - unter der Voraussetzung das beim "Gefühle zeigen" alle Gefühle gemeint sind. In meiner Schulzeit habe ich die Erfahrung gemacht das gerade ein von feministischem Gedankengut durchdrungener Lehrkörper Gefühle wie Wut oder Agression scharf sanktioniert. "Wir haben und alle ganz doll lieb" und dem ausschließlichen Zulassen von positiven Gefühlen führt nur dazu das aufgestaute Wut im inneren schlummert und dann vielleicht irgendwann massiv ausbricht.
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shark
Beitrag 16.Mar.2009 - 13:28
Beitrag #5


Strösenschusselhai
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Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Und selbstverständlich waren mit "Gefühle" auch jene mitgemeint, die nicht angenehm sind. (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)

Gruss

shark
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Phoenix Bay
Beitrag 16.Mar.2009 - 20:29
Beitrag #6


Naschkatze
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Hallo shark,
ZITAT
ein generelles Verbot, in Privathäusern Waffen und Munition aufzubewahren.
Statt dessen sollten die Schützenvereine gezwungen sein, sichere Waffentresore und Munitionslager bereitzustellen, in welchen die Waffen der Mitglieder verwahrt werden.


Da stimme ich dir voll und ganz zu!(Fast) Überflüssig finde das derzeitige Gesetz, Waffe und Munition getrennt voneinander aufzubewahren. Schusswaffen und Munition haben gar nichts im Haushalt zu tun! Besonders nicht, wenn es Kinder im Haus gibt!

ZITAT
Und ich weiss auch, dass viele unserer Kollegen und Kolleginnen im Verein ebenso fahrlässig mit ihren Handfeuerwaffen umgegangen sind.


Gerade Leute, die sich in dem Bereich auskennen, sollten doch die Fähigkeit besitzen, klar zu denken und ordnungsgemäß handeln!

ZITAT
Genauso wie ich der Ansicht bin, dass es grundsätzlich für die Aufnahme in einen Schützenverein eine Art "Wesenstest" geben müsste. Dieser bietet zwar - wie beim "Wesenstest" für Hunde - keine 100%ige Sicherheit, aber ich denke, ein paar gefährliche Feuerwaffenfreaks könnten so schon ausgesiebt werden.


Das finde ich eine klasse Idee! So kann man schon mal ein paar der "Gefährlichen" aussieben.


ZITAT
Keine jugendlichen Mitglieder in Schützenvereinen also!


Man sollte es erst ab 21 Jahren dürfen!


ZITAT
Jungen hingegen sollen in vielen Familien, aber auch noch immer in Bezug auf ihre Funktion in der Gesellschaft, eher hart und stark sein - oder zumindest so tun. Und: sie haben oft keine Sprache für Gefühle, sind sprachlich viel häufiger insgesamt unterentwickelter als Mädchen
.

Aber ich beobachte immer häufiger, wie sich männliche Jugendliche vom äußeren Erscheinungsbild her, auf die feminine Seite schlagen. Meint ihr das ist ein Anfang? Denn irgendwoher muss es ja kommen, oder? Das Äußere zeigt doch meist auch das Innere, oder irre ich?

ZITAT
Nun haben aber viele Kinder heute sowieso kaum "lebende" Vorbilder.


Dann sollte man sich aber mal fregen warum. Warum haben sie keine realen Vorbilder mehr?

ZITAT
Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft einen klassisch feministischen Gedanken wirklich aufgreift und in der Erziehung und Begleitung von Kindern umsetzt - nämlich den, dass wir alle Menschen - und nicht zuerst mal Mädchen und Jungs, Frauen und Männer - sind. Und dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, Gefühle zu zeigen und darin bestärkt und dafür anerkannt zu werden.
Auch Jungs.
Und zwar bevor sie zur Waffe greifen.


Super! (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)
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shark
Beitrag 16.Mar.2009 - 22:33
Beitrag #7


Strösenschusselhai
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Einen wichtigen Aspekt habe ich noch zu erwähnen vergessen:

ich bin dafür, dass Repliken von Schusswaffen verboten werden.

Viele Handfeuerwaffenmodelle werden als Replika hergestellt und als "Soft-Air"-Waffen verkauft.
Einige davon dürfen aktuell schon von 3-Jährigen verwendet werden.

Erstens sind "Soft-Air" unter bestimmten Umständen auch schon gefährlich und zweitens - und das ist noch viel gefährlicher - gewöhnen sich die Kids an diese Nachbildungen, die perfekt und originalgetreu gestaltet sind, auf eine Weise, die es einigen unmöglich macht, noch selbst einen Unterschied zu empfinden zwischen der Replik und der scharfen Originalwaffe. Sie haben dann keine Scheu mehr, auch mit dem Original zu schiessen, verlieren die Gefährlichkeit der Waffe aus den Augen.

Deshalb: Schusswaffen-Repliken sollten verboten werden!

shark
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mosetsana
Beitrag 17.Mar.2009 - 10:30
Beitrag #8


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Meiner Ansicht nach ist ein Verbot Waffen und Munition in Privathäusern zu lagern nur ein erster Schritt. Ich sehe überhaupt gar keinen Grund warum es erlaubt bleiben sollte mit großkalibrigen Waffen herumzuballern. Da sollte sich die Politik ein Beispiel an Großbritannien nehmen wo Kurzwaffen in Privathand generell verboten sind. Mir ist auch kein einziger Fall eines Amoklaufs gegenwärtig der mit einer illegal erworbenen Waffe verübt wurde.

Wer glaubt das es außer dem nicht zugänglich machen von Waffen noch andere Patentrezepte gibt soche Taten zu verhindern irrt meiner Ansicht nach. Da die Motivationslage von Tim K. völlig im Dunklen liegt und sicher auch nie aufgeklärt wird, ist der Aktionismus vieler Politiker einfach grotesk. Beispiel "Killerspiele": Mit dem gleichen Recht wie manche Leute behaupten Computerspiele seien Auslöser für Amokläufe kann auch behauptet werden die Täter hätten einfach zu wenig gespielt. Eine Stunde pro Tag länger am PC balleren und alle aufgestauten Aggressionen wären abgebaut.

Was es tatsächlich für Tatmotive gibt läßt sich im übrigen an diesem Beispiel nachlesen. Wer weiß in welch krankhaftem Wahn sich Tim K. befunden hat.
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McLeod
Beitrag 17.Mar.2009 - 11:47
Beitrag #9


mensch.
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Ich frage mich gerade, ob der Aufwand für die sicherere Verwahrung von Waffen nicht besser (oder zuerst einmal) in die Unterstützung ("Ausbildung") von Eltern, die Entlastung von Pädagogen, die Verkleinerung von Klassengrößen und ein besseres Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche investiert werden könnte. Und sollte.

Das Pferd von hinten aufzuzäumen und sich nicht (genug) darum zu kümmern, dass einige Jugendliche nicht unbemerkt "hinten runter fallen" sondern stattdessen jenen Jugendlichen den Zugang zu Waffen nur zu erschweren scheint mir - das verdeutlicht auch meine Wortwahl - am falschen Ende angefangen. Prävention verstehe ich anders.

Wie bei der Diskussion um alkoholisierte 13-Jährige finde ich, das die Gesetze derzeit ganz gut sind, nur die Durchführung ist grottig. Unsere Durchführung. Das Gesetz "Waffen nur noch in Schützenvereinen und Jägerhütten lagern" löst nicht die verzweifelte Lage einiger Jugendlicher. Wäre uns (als Gesellschaft, als Nicht-direkt-in-Winnenden-Betroffenen) geholfen, wenn sie sich einfach "nur noch" selbst umbrächten?

Die besseren oder behüteteren Waffenschränke mögen eine kurzzeitige Entlastung schaffen, um der wirklich prekären Lage mancher, vielleicht sogar vieler Jugendlicher in ihrem eigenen Leben Veränderungen angedeihen lassen zu können. Das muss dann aber auch passieren. Es darf nicht dabei bleiben. Und schon gar nicht darf es eine Ausweichdiskussion werden, wie sie mir derzeit in den Medien und in politischen Kreisen allerdings zu herrschen scheint.

Findet, mit viel Abstand: McLeod
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shark
Beitrag 17.Mar.2009 - 13:41
Beitrag #10


Strösenschusselhai
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Na, das ist ja, was ich sage.

Natürlich brauchen Kinder vor allem wesentlich kompetentere Eltern, als sie die vielfach haben.
Und sie brauchen Perspektiven, Freiräume und Angebote zur Freizeitgestaltung.
LehrerInnen, die nicht nur Wissen in Köpfe stopfen wollen.
Kleinere Schulklassen.
Haustiere.
Gesundes Essen.
Musikinstrumente.
Bäume.


Das alles ist keine Frage.
Und auch ist es nicht neu, dass noch lange nicht genug (bzw. "das Richtige") für Kinder und Jugendliche getan wird.
Und dass das nicht so bleiben kann.
Und zwar nicht nur wegen Amoklauf-Gefahr.

Trotzdem bin ich der Ansicht, dass (und so ein Riesenaufwand wäre das gar nicht) Waffen aus privaten Haushalten heraus müssen, Minderjährige in Schützenvereinen nix verloren haben und überhaupt jeder Mensch, der Sportschütze werden will, einen Eignungstest machen müssen sollte.

Da es utopisch ist, zu denken, dass auch bei allerbester Betreuung und Erziehung unserer Kinder (von der wir wissen, dass allzu viele sie nicht haben), niemals mehr jemand sich veranlasst fühlen könnte, durchzudrehen, ist es einfach sinnvoll, solche Menschen nicht an Waffen herankommen zu lassen.

Nein, uns wäre als Gesellschaft nicht wirklich geholfen, brächten solche Jugendliche "nur" noch sich selbst ums Leben - aber es ist durchaus von Bedeutung, ob zusätzlich noch 5 oder 20 oder 30 - oder wieviele auch immer - Menschen sterben müssen, weil einer - warum auch immer - durchgedreht ist und an Schusswaffen gelangen konnte.


shark

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 17.Mar.2009 - 13:50
Bearbeitungsgrund: Satz verlängert.
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Rafaella
Beitrag 17.Mar.2009 - 16:33
Beitrag #11


Freies Vögelchen
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Alice Schwarzer in der "Emma zum Thema"
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Rafaella
Beitrag 17.Mar.2009 - 16:39
Beitrag #12


Freies Vögelchen
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Und Luise F. Pusch zum Thema
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kawa
Beitrag 18.Mar.2009 - 00:25
Beitrag #13


Blau, weil Ströse.
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Danke für die beiden Links, Rafaella! (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)
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DerTagAmMeer
Beitrag 18.Mar.2009 - 11:00
Beitrag #14


Adiaphora
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Bei beiden Artikeln habe ich (ebenso wie bei den kommentierten Erklärungmustern, die Herr Lenzen anbietet) ein Problem.
Es besteht in dem Gefühl, dass sie einen singulären Unglücksfall paradigmatisch vereinnahmen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit, die hilflose Empörung und der unbedingte Wunsch, etwas zu tun, werden mit rhetorischen Mitteln in das persönlich favorisierte Denkmuster gelenkt, ohne die behaupteten Zusammenhänge zu belegen und den eigenen Blickwinkel zu hinterfragen.

Ist es - wenn es der eigenen guten Sache dient - plötzlich erlaubt, sich argumentativ auf den ausufernden Bildzeitungs-Journalismus zu stützen? Fetzen aus manipulierten und aufgeblähten Interwievs wie unumstößliche Wahrheiten zu zitieren und soger die stimmungsaufheizenden Schlagworte zu übernehmen?
Finde ich nicht.

Ich kann nachvollziehen, dass und wie sich für Frau Schwarzer die Ereignisse in Winnenden in die feministische Dialektik von Männergewalt und Frauenunterdrückung einfügen. Doch sie überzeugt mich nicht. Ich halte noch immer den (in diesem Fall sicher zynisch banalen) Zufall für ausschlaggebend, dass die Tür in dieser Klasse hinten war, in der letzten Reihe Mädchen saßen und der Amokläufer zielte, wie es in Ballerspielen angelegt ist.

Natürlich weiß ich genausowenig wie Frau Schwarzer (oder sonst irgendwer), was T. K. gedacht, gefühlt und motiviert hat. Und ich komme auch zu denselben Forderungen: Mehr Aufmerksamkeit für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft, mehr Unterstützung für Schulen und Lehrende, mehr "echte" Freizeitangebote, weniger virtuelle Parallelwelten und ein grundsätzliches Verbot von "Sport"-Waffen*.

Trotzdem sieht meine "Weltsicht" anders aus.

Mir erscheint die überwiegende Mehrheit männlicher 17-jähriger verunsichert - vor allem und gerade auch im Umgang mit Frauen und Mädchen (und das war vor 20 Jahren nicht anders).

Ich glaube auch, dass das, was wir heute mit "Depressionen" beschreiben, die meisten Menschen in irgendeiner Phase ihres Lebens (einige leider auch chronisch oder beständig wiederkehrend) durchleiden; es sich demnach um ein ausgesprochen verbreitetes Merkmal handelt.

Desweiteren kenne ich persönlich keinen einzigen Menschen, die/der ohne Versagensängste, unterdrückte Aggressionen, aufgestaute Wut und Frustration erwachsen geworden ist. Das ist schrecklich traurig und auch ich hege ein großes Bedürfnis dies zu ändern.

Trotzdem laufen wir alle nicht Amok.

Die überragende Mehrheit verunsicherter, überforderter, verkannter, vernachlässigter, irgendwo ausgegrenzter und irgendwie gestörter Menschen rennt NICHT in Schulen schießt dort mit scharfer Munition um sich.

Mir erscheint es allerdings plausibel, Amokläufe an Schulen als eine bestimmte Form von Selbstmordattentat zu verstehen.

Daraus folgt die Einsicht, dass wir als Gemeinschaft nicht in der Lage sind, zuverlässig zu verhindern, dass ein subjektiv empfundenes Unrecht als Rechtfertigung für einen derartigen Gewaltakt missbraucht wird.

Ebenso können wir nicht verhindern, dass Menschen Frustrationen, Niederlagen und negative Gefühle mit Omnipotenzphantasien kompensieren.

Wir könnten aber sehr wohl verhindern, dass Kinder mit Waffen aufwachsen.

Und wir könnten verhindern, dass Attentate und Attentäter durch die Medien mythologisiert werden und so Nachahmer insprieren.

Wir könnten uns dem Wunsch der Attentäter nach Aufmerksamkeit und Ruhm verweigern, indem wir ihre Namen, ihre Gesichter, ihre Geschichten von unseren Titelseiten verbannen und statt den Tätern den Opfern ein Gesicht geben. Ihre Geschichte erzählen. An ihrem Schicksal Anteil nehmen.

Ich bin fest davon überzeugt (und darin sicher ebenso ideologisch wie Schwarzer und Buurmann), dass Selbstmordattentäter nicht die Personen, die Menschen, die Persönlichkeiten und Namen derer vor Augen haben, deren Leben sie auslöschen.

In Deutschland wurde viel darüber nachgedacht, wie es dazu kommen konnte, dass unser Volk einen Genozid zuließ, woran es lag, dass Einzelne widerstanden während sich Andere beteiligten, miteiferten oder die Augen verschlossen. Ich glaube, dass sich ein Schlüssel zum Verständnis in der "Entpersonalisierung" der Opfer findet. In der systematischen Verhinderung und Vermeidung von Empathie.

Darum würde ich mir wünschen, dass sich die Öffentlichkeit mit den getöteten Mädchen in der letzten Reihe beschäftigt, den Lehrerinnen, den Passanten, ihren Familien, den Menschen, die unmittelbar daneben standen, nicht getroffen wurden und nun damit leben müssen, den Eltern, die nun Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken und den Lehrenden, die weiterhin vor großen Klassen stehen, in denen Einzelne vielfach untergehen.

* Zum Thema "Waffen" möchte ich Shark Punkt für Punkt zustimmen und hätte auch nichts gegen die allgemeine Abschaffung von professionellen, mechanischen Tötungsinstrumenten einzuwenden - beim Militär, der Polizei, der Land- und Forstwirtschaft etc.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 18.Mar.2009 - 11:18
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mosetsana
Beitrag 18.Mar.2009 - 11:33
Beitrag #15


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Zu den den Artikeln von Schwarzer und Pusch: Das der Täter gezielt Frauen und Mädchen erschoßen hat ist ja eindeutig, doch was fangen wir mit der Erkenntis an? Selbst wenn ein "Ich hasse alle Frauen" Abschiedsbrief vorliegen würde, was würde es ändern? Könnten sich dann alle mit einem "AH!" Ausruf zurücklehnen?
Da aber alles was zur möglichen Motivation geäußerd wird pure Spekulation ist erscheint mir die ganze öffentliche Motiv-Diskussion darauf ausgelegt das eigene Feindbild zu pflegen und zu untermauern. Die Männer sind Schuld, die Computerspielindustrie, die Waffenbesitzer, die Politik, die unaufmerksamen Lehrer, etc.pp. Wirklich Substanzielles habe ich zu der ganzen Tat bisher weder gehört noch gelesen.

Nachtrag: Den Beitrag von DerTagAmMeer habe ich erst gelesen als ich meinen Beitrag schon abgeschickt hatte. Deshalb muß ich mich korregieren: Mein Schlußsatz stimmt nun nicht mehr, denn was DerTagAmMeer hier geschrieben hat ist SEHR Substanziell (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)

Der Beitrag wurde von mosetsana bearbeitet: 18.Mar.2009 - 11:41
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Schräubchen
Beitrag 18.Mar.2009 - 14:44
Beitrag #16


Dreht manchmal durch...
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Wenn eine solch unbegreifliche Tat geschieht, ist es nur menschlich, Antworten auf das Warum, zu suchen. Und wer suchet der findet. Rassismus, Fremden- oder Frauenhass, Computerspiele, P*rnographie, Waffenliebhaberei etc. Eine Antwort fällt relativ leicht.
Aber genau das stört irgendwie an der ganzen Sache. Denn Tim wird nicht der einzige Jugendliche in Deutschland sein, dem es so oder ähnlich geht. Doch nicht alle laufen Amok.

Meiner Ansicht nach ist es auch der Familie gegenüber nicht fair, derartige Spekulationen zu veröffentlichen. Denn dadurch wird ihnen doch eine Mitschuld zugeschoben. *Ironieschalter an* Sie haben all das so offensichtliche nicht gesehen! Was sind das nur für Eltern? *Ironieschalter aus* Wenn ich aber an meine Familie denke, dann muss ich sagen, dass ich nicht immer weiß, was in deren Köpfen vor sich geht. Auch ich werde immer wieder mit Dingen überrascht, die ich nicht für möglich gehalten habe. Und ich bin froh und dankbar, dass diese Dinge meist positiv sind, oder aber keine negativen Konsequenzen für sie oder andere nach sich ziehen. Und ich bin sicher, das es den meisten Menschen ähnlich geht.
Natürlich stellt sich den Familien der Opfer, den Opfern die überlebt haben (und damit meine ich alle die anwesend waren), der Familie von Tim und sicher auch den Helfern vor Ort, die Frage nach dem Warum. Doch es ist nicht Aufgabe der Medien oder diverser Feministinnen, diese Frage zu beantworten. Dafür gibt es Speziallisten, die erst mal in Ruhe ihre Arbeit machen sollten.

Für die Medien ist es ein dankbares Thema. Sie haben tagelang Titelseiten und Sendezeiten füllen können. Dass sie dabei Nachahmungstäter auf den Plan rufen, ist nebensächlich. Soweit ich weiß (und ich lasse mich hier gerne korrigieren) berichten die Medien z. B. nicht, oder nur am Rande, über Suizide, weil befürchtet wird, dass andere Menschen dem folgen könnten. Hier gibt es wohl einen gewissen Kodex, an den sich die Medien halten. Warum aber nicht nach einer solchen Tat? Warum ist es so wahnsinnig wichtig, schon ein paar Stunden nach einer solchen Tat, die ganze Menschheit wissen zu lassen, wie viele Mädchen und Jungen unter den Opfern waren? Warum ist es so wahnsinnig wichtig, schon kurze Zeit später alle Welt wissen zu lassen, dass der Vater in einem Schützenverein war? Warum muss die ganze Welt innerhalb kürzester Zeit über alles informiert werden? ...

Dem Täter wird vorgeworfen unmenschlich gehandelt zu haben, keine Emotionale Intelligenz bessesen zu haben und von Empathie noch nie etwas gehört zu haben. Sollten sich in der Beziehung unsere Journalisten nicht mal an die eigene Nase fassen?

Ein nachdenkliches Schräubchen
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shark
Beitrag 18.Mar.2009 - 15:27
Beitrag #17


Strösenschusselhai
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ZITAT(DerTagAmMeer @ 18.Mar.2009 - 11:00) *
Bei beiden Artikeln habe ich (ebenso wie bei den kommentierten Erklärungmustern, die Herr Lenzen anbietet) ein Problem.
Es besteht in dem Gefühl, dass sie einen singulären Unglücksfall paradigmatisch vereinnahmen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit, die hilflose Empörung und der unbedingte Wunsch, etwas zu tun, werden mit rhetorischen Mitteln in das persönlich favorisierte Denkmuster gelenkt, ohne die behaupteten Zusammenhänge zu belegen und den eigenen Blickwinkel zu hinterfragen.

Ist es - wenn es der eigenen guten Sache dient - plötzlich erlaubt, sich argumentativ auf den ausufernden Bildzeitungs-Journalismus zu stützen? Fetzen aus manipulierten und aufgeblähten Interwievs wie unumstößliche Wahrheiten zu zitieren und soger die stimmungsaufheizenden Schlagworte zu übernehmen?
Finde ich nicht.


Finde ich auch nicht.
Und genau deshalb kommen für mich auch vorausgreifende und hypothetische Gedankenansätze in Bezug auf den angeblichen Frauenhass Kretschmers nicht in Betracht bei meinen Ueberlegugen zum Thema.
Ich weiss nicht, ob Kretschmer absichtlich vor allem Mädchen hingerichtet hat oder ob er seinen Schiesskünsten doch nicht recht traute und deshalb auf jene SchülerInnen schoss, die ihm räumlich am nächsten waren.

Das Einzige, was ich, und das ist auch ein eher "objektiv" beurteilbarer Faktor, mit hineinnehmen kann in meine Ueberlegungen, ist, dass alle "Amokläufer" der letzten Jahre (und - das weiss ich aber nicht, kann es mir jedoch durchaus vorstellen - vermutlich auch vieler Jahre zuvor) männlichen Geschlechts waren - weltweit.

Und da finde ich es auch legitim, zu fragen, ob das reiner Zufall ist.

Addiere ich zu diesen katastrophalen Geschehnissen auch noch das Verhalten vieler junger Männer und männlicher Kinder, die ich beruflich und im Alltag erlebe, so entsteht ein Bild von einer Entwicklung, die offenbar Jungen auf besondere Weise herausfallen lässt aus dem, was wir "gelungene Sozialisation" nennen - und der bis dahin mögliche Zufall wird sehr unwahrscheinlich.

So stelle ich mir die Frage, weshalb das so ist oder sein könnte.

Weiter oben habe ich ja bereits Stellung genommen zu Ursachen, die mir dazu ins Auge fallen.

Die Frage ist nun, wo genau das "Versagen" in Bezug auf Jungen beginnt und an welcher Stelle dem entgegengesteuert werden könnte.

Ich erlebe in meiner Arbeit ja nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Eltern.
Und gerade bei diesen fällt mir auf, dass sie, haben sie Söhne, viel häufiger als "Mädchen-Eltern", extrem unsicher sind in Bezug auf Erziehungsziele, die Förderung bestimmter Eigenschaft und eigener Anforderungen sind.

Natürlich gibt es eine Menge Eltern von Jungen, die ganz klar an der Entwicklung empathischer Fähigkeiten bei ihren Kindern interessiert sind, ihre Buben zum Beispiel darin unterstützen, Schwierigkeiten nicht "mit der Faust" aus dem Weg zu räumen, die viel sprechen mit ihren Kindern und sie wahrnehmen in ihren ganz individuellen Bedürfnissen und Befähigungen.

Ebenso wie es Mütter und Väter von Mädchen gibt, die mit ihren Kindern wenig sprechen, deren Entwicklung nicht aufmerksam begleiten und deren Bedarf an Förderung und Erziehung nicht wahrnehmen.

Aber:
Ueberdurchschnittlich häufig lassen Jungs-Eltern ihren Kindern freien Lauf beim rein körperlichen "Lösen" von Konflikten, halten das einfach für "jungenhaft", sprechen nicht mit ihren Kindern über andere Möglichkeiten, sind selbst kein gutes Vorbild, lassen Emotionen ausser acht ("Mensch, Du bist doch ein grosser Bub! Wehr Dich halt mal! Dazu hast Du doch Fäuste! Du bist doch stark!" oder "Komm, stell Dich nicht so an - grosse Jungs heulen doch nicht wegen jedem Mist!").

Viele, weil sie einfach überfordert sind und nicht wissen, wie sie es anders handhaben sollten.
Andere, weil sie es genau richtig finden, wenn Jungs sich so verhalten.

Und es ist auch nicht nur die tolerierte bis geradezu geförderte körperliche Gewalt - auch bei Dingen wie "Teller und Tasse wegräumen", "Boden fegen" etc. sind viele Eltern von Jungs noch immer der Meinung, das sei rein "genetisch", dass diese das nicht machen wollen und sprechen mal mit stolzgeschwellter Brust, mal achselzuckend und zwinkernd von ihrem kleinen "Macho".

Und andere Eltern sind ganz unsicher und wissen nicht recht, was sie mit ihrem Söhnchen anfangen sollen - ein Macho soll er ja nicht werden, aber ein Softie halt auch nicht - sonst gilt er ja nix in der Gesellschaft...

Immer mehr Mädchen-Eltern finden es toll, wenn die Tochter den ganzen Morgen an der Werkbank an ihrem Bilderrahmen gesägt hat, am liebsten durch Pfützen hopst und Regenwürmer isst. Aber anstatt das alles als urpersönliche Vorlieben und für dieses Kind mit seiner Persönlichkeit "passende" Verhaltensweisen anzunehmen, höre ich noch immer oft ein stolzes: "Naja, an Luna ist halt ein kleiner Bub verloren gegangen..." oder andersrum auch so was wie: "Die Anna war noch nie ein richtiges Mädchen... Und ich würd ihr doch so gerne mal ein rosa Röckchen anziehen, aber die macht ja alles kaputt..."

Auch hier also klassifizieren Eltern ihre Kinder nach Junge/Mädchen, anstatt sie als Menschen mit eigenen Persönlichkeiten wahrzunehmen.

Und später, wenn diese Kinder dann im Schulalter sind und allmählich Jugendliche werden, bricht der Kontakt zwischen Eltern und Kindern oft geradezu ab.
Mehr noch als Mädchen, die ja meist doch gelernt haben, zu diskutieren, was ihnen nicht passt oder die wenigstens enge Beziehungen zu Freundinnen haben, mit welchen sie dann gemeinsam weinen oder klagen können, bleiben Jungen ganz allein mit ihren widerstreitenden Gefühlen.

Die waren nie erwünscht und sind es auch jetzt nicht. Den Eltern werden ihre Kinder immer fremder, die Kinder behalten immer mehr für sich - und sind gänzlich überfordert damit, eine Brücke zu finden, über die sie als Menschen Zugang zum Leben, zu Anderen, zur Zukunft finden könnten.
In der Schule finden sie entweder Lehrerinnen (viel mehr als Lehrer), die ihnen als Bezugspersonen aufgrund ihres "Frau-Seins" nicht taugen oder Lehrer, die uninteressiert sind am Seelenleben ihrer SchülerInnen (die haben es ja auch so gelernt...) - also auch keine Ansprechpartner.

Vielen Eltern ist es nachgerade angenehm, wenn der Herr Sohn dann zuhause in seinem Zimmer vor dem Rechner sitzt und wasauchimmer spielt. Immerhin geht er nicht saufen oder kiffen oder klauen...
Und sie lassen ihn - wie sie denken - gewähren, in Wahrheit lassen sie ihn aber einfach allein.

Nun ist es von "aussen" oft mehr als schwierig, Menschen, die Kinder haben, zu "Eltern" zu machen.
Denn Erziehung ist ja Privatsache...
Und einen "Elternführerschein" gibt es nicht.

Also müssten die anderen Menschen, die täglich Kontakt mit Jugendlichen haben, sich ihrer annehmen.
Und wer sind diese Menschen? Die Lehrerinnen und Lehrer.
Aber können (und wollen) die das leisten?

ich sage: Nein, das wollen längst nicht alle. Und die, die es wollen, können oft nicht.
Denn ihre vordringliche Aufgabe ist es, Wissen in die Köpfe der Kids zu stopfen, sie durch das nächste Schuljahr zu bringen, den Lehrplan einzuhalten - und oft auch das schon unter ausgesprochen schwierigen Umständen.
Die Pseudo-KlassenleiterInnen-Stunde pro Woche würde für diesen zusätzlichen Anspruch nämlich nie und nimmer ausreichen. So bleibt - auch für die Lehrkräfte - nur unbefriedigendes Stückwerk, was eigentlich Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein müsste.

Und deshalb sehe ich nur einen Weg hinaus aus diesem Dilemma:

Eine komplette Umstrukturierung unseres Schulsystems, gekoppelt an Anstrengungen, Eltern bei ihrer Aufgabe als Erziehende wirklich zur Seite zu stehen (anstatt sie allein zulassen oder zu bevormunden).

Jedoch: WIE genau das aussehen sollte, kann ich mir - jedenfalls realistisch - auch nicht wirklich vorstellen.

Dürfte ich "wünschen", so wünschte ich mir eine gemeinsame Beschulung aller Kinder und Jugendlichen bis Ende Klasse 10.
Von der ersten Klasse an Ethikunterricht für alle - zur Entwicklung und Förderung eines sozialen Menschenbildes anstatt eines Frauen- und eines Männerbildes).
Theaterunterricht als Pflichtfach.
Wesentlich mehr eingeplante (und auch nicht wegstreichbare) Zeit für zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Lehrkörper und SchülerInnen.
Viel mehr männliche Lehrkräfte (nicht nur in Mathe und Sport) auch und besonders schon an Grundschulen (wie auch schon vorher im Kindergarten viel mehr Erzieher zu finden sein müssten).
Besondere, auch pädagogische, Unterstützung alleinerziehender Mütter (und Väter, aber die sind ja immer noch die Ausnahme).
Kostenfreie Freizeitangebote.
Verpflichtend Beteiligung an sozialen Projekten.
Wertschätzung und Zensuren (denn ich fürchte, die lassen sich nicht abschaffen) auch für Befähigungen im zwischenmenschlichen Bereich.

Ja, wenn all das sich machen liesse...

... auf der Basis eines Menschenbildes, das möglich macht, dass weder Mädchen noch Jungen auf ihr Geschlecht reduziert werden, dann wäre das ein mE guter Weg.

Geseufzte Grüsse


shark

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 18.Mar.2009 - 15:36
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mosetsana
Beitrag 19.Mar.2009 - 10:34
Beitrag #18


Geschirrspülerin
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ZITAT(Schräubchen @ 18.Mar.2009 - 14:44) *
Meiner Ansicht nach ist es auch der Familie gegenüber nicht fair, derartige Spekulationen zu veröffentlichen. Denn dadurch wird ihnen doch eine Mitschuld zugeschoben. *Ironieschalter an* Sie haben all das so offensichtliche nicht gesehen! Was sind das nur für Eltern? *Ironieschalter aus* Wenn ich aber an meine Familie denke, dann muss ich sagen, dass ich nicht immer weiß, was in deren Köpfen vor sich geht. Auch ich werde immer wieder mit Dingen überrascht, die ich nicht für möglich gehalten habe. Und ich bin froh und dankbar, dass diese Dinge meist positiv sind, oder aber keine negativen Konsequenzen für sie oder andere nach sich ziehen. Und ich bin sicher, das es den meisten Menschen ähnlich geht.


Läßt sich denn überhaupt so etwas sehen? Läßt sich wirklich erkennen in welch fataler Weise sich jemand entwickelt? Ich behaupte einfach mal nein, nicht von den Eltern, den Lehreren, ja nicht einmal von Fachleuten. Würde ich bei mir sich steigernde Gewaltphantsien entdecken, ich denke nicht das ich mich offenbaren und in Behandlung begeben würde. Zu Abschreckend wäre die Furcht auf unabsehbare Zeit in der geschlossenen Psychatrie zu verschwinden. Ergo würde ich alles dafür tun meine Phantasien zu verbergen und selber unter Kontrolle zu halten - mit ungewissem Ausgang.

Merkwürdig finde ich im übrigen das die Schuld - und Motivsuche in allen möglichen Breichen stattfindet, die Schule aber ausgeklammert bleibt. Alle mir bekannten Amoktaten von Heranwachsenden fanden an Schulen statt. Das ist doch auffällig! Und ganz sicher weiß jede Forumsteilnehmerin aus ihrer eigenen Schulzeit von Jungen und Mädchen zu berichten für die die Schule die pure Hölle war, sei es wegen Mobbings, zu hohe Erwartungen der Eltern, ungerechte Lehrer, usw.
Sicher, im Fall von Winnenden haben alle ausgesagt Tims Schulzeit wäre problemlos verlaufen, aber erstens stellt sich nach solch einer Tat sicher niemand hin und gibt zu Tim das (Schul)Leben schwer gemacht zu haben, und zweitens ist die Schmerzgrenze einfach unterschiedlich hoch. Und das an Schulen nicht alles so läuft wie es laufen sollte wird niemand ernsthaft bestreiten. Es gibt ja auch genug Studien darüber das ein viel zu hoher Prozentsatz der SchülerInnen mit Angst zur Schule geht, hauptsächlich wegen Mobbings. Da hat shark vöiilg recht. Es müßte weitaus mehr hinsichtlich Ethik, Empathie, solzialer Intelligenz/Kompetenz an Schulen geschehen. Allein auf den nächsten Pisa Test zu schielen kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein.
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LadyGodiva
Beitrag 19.Mar.2009 - 11:11
Beitrag #19


Strøse
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Sieben Leben hat die Katz, das wusste jedes Kind und doch war Samtmieze eines Tages kalt.

Ich halte das Unfassbare traurigerweise nur für Vorboten einer schleichend-schmerzhafteren Rückführung unserer Lebens-Synthetizität auf ein (endlich!) fulminantes Fühlen. Die einen zerhungern sich, die anderen zerreißen ihre Alltagswelt, schön stereotyp. Mit der Konsequenz, dass mir alle leid tun, die jünger und im Finden sind - nicht, weil sie potentielle TäterInnen sind, sondern weil sich offenbar die Dimensionen einfach zu ihren Ungunsten verschoben haben, wie auch wir fassungslos davor stehen und allen Ernstes darüber meditieren, welche Maßnahmen eine solche Explosion verhindern können. Ob unser mechanisches Weltbild (actio-reactio) nicht auch ein wenig zu dieser gefühlten Unwirklichkeit führen könnte, indem wir die Schuld mal bei einem, mal bei allen sehen, uns über die Rollenverteilungen von Täter und Opfer streiten und unsere Waffen schon für das nächste Level sammeln?
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shark
Beitrag 19.Mar.2009 - 16:38
Beitrag #20


Strösenschusselhai
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Ich glaube eher, es wird Zeit, sich erstens dessen wirklich bewusst zu werden, dass unsere Kinder- ganz gleich, wie wir sie erziehen - auf eine völlig andere Welt treffen als wir das taten, als wir jung waren
und zweitens zu schauen, was wir aus dieser Welt machen wollen, damit wir uns eine Vorstellung davon machen können, was unsere Kinder brauchen, um in ihr bestehen zu können.

Wir stehen mE längst - leider mit geschlossenen Augen - an der Pforte zu einer vollkommen veränderten Zukunft und unsere Kinder spüren das weit mehr als wir meinen, etwas über diese Zukunft zu wissen.


shark

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 19.Mar.2009 - 16:42
Bearbeitungsgrund: Einschub
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