Die Spießigkeit der Lebensmitte, Lebst Du noch oder putzt Du schon? |
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Die Spießigkeit der Lebensmitte, Lebst Du noch oder putzt Du schon? |
18.Jul.2008 - 10:30
Beitrag
#1
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Adiaphora Gruppe: Members Beiträge: 1.987 Userin seit: 14.10.2004 Userinnen-Nr.: 596 |
Ich kann mich noch genau erinnern, wie unglaublich albern ich diese stressigen Putzorgien meiner Mutter fand, wenn Besuch anstand. NIE, niemals nie hätte ich für möglich gehalten, einmal selbst von diesem Virus der perfekten Haushaltsführung infiziert zu werden.
Und eigentlich weiß ich auch gar nicht recht, wie das angefangen hat. Vor 15 Jahren kannte ich mit Ausnahme einer einzigen putzfimmeligen Freundin keine einzige Wohnung und keine WG, in der nicht eine gewisse lebensbedingte Unordnung geherrscht hätte. Mit Büchern auf dem Küchentisch, Klamotten über den Stuhllehnen, Abwasch in der Spüle und Zahnpastasprenkeln auf dem Badspiegel. Mit den Jahren sind die Wohnungen dann ganz unbemerkt aufgeräumter und sauberer geworden, unangemeldete Besuche wurden immer unüblicher, "Gästezimmer", "Gäste-Betten" und "Gäste-Toiletten" wurden angeschafft. Einige Freunde gestanden, dass sie eine Haushaltshilfe beschäftigten, andere entwickelten übermenschliche Fähigkeiten in Sachen Hauswirtschaft, manche fühlten sich ebenso überfordert, machten aber trotzdem weiter mit und zeigten guten Willen. Seit wir aufs Land gezogen sind, ist diese Entwicklung durch Nachbarschaft und "Laufkundschaft" nicht unwesentlich verstärkt worden. Mit unverholener Bewunderung sehe ich vis a vie die jahreszeitliche Fensterdeko wechseln, blitzeblanke Bio- Restmüll- und Papiertonnen so pünktlich ein- und ausparken, dass man den Müllkalender nach ihnen stellen könnte, und suche vergeblich nach einem klitzekleinen Löwenzähnchen auf dem lupenreinen Gehwegstück gegenüber. An das Arbeitspensum derer, die neben Haus und Hof auch noch Kinder, Kühe, Äcker und Hofläden bewirtschaften, mag ich ja gar nicht erst denken. Und irgendwie gefällt mir diese Entwicklung an mir ganz und gar nicht. Ich habe eigentlich gern Menschen um mich und mag es Freunde zu umsorgen - diese streifenfreie Spülmaschinenperfektion verhagelt mir meine Lust an der Gastfreundschaft allerdings gewaltig. Kennt Ihr das auch oder genießt Ihr es endlich aus dem Chaoten-Alter raus zu sein? Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 19.Jul.2008 - 12:33 |
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19.Jul.2008 - 11:59
Beitrag
#2
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Strøse Gruppe: Admin Beiträge: 10.010 Userin seit: 27.08.2004 Userinnen-Nr.: 166 |
dtam - zur "Scham":
Ich bin in einem Einfamiliensiedlungshaus aufgewachsen, mit einer Profi-Hausfrau als Großmutter und einer Mama, die, vollzeit berufstätig, sehr frustriert ob der Unmöglichkeit dem nacheiferte. Da galt man mit zwei Pullis über'm Stuhl im eigenen Zimmer bereits als Schl*mpe. Meine erste Bluse habe ich noch vor der Einschulung bügeln und zusammenlegen gelernt. Seit ich nicht mehr über den Schrubberstiel stolpere, wurde ich auch in die allsamstäglichen Putzaktionen integriert (diese Gepflogenheit habe ich, wie oben schon erwähnt, selbst für meine Wohnung übernommen). Geputzt, das Haus und sich selbst heraus, wurde konsequent mit dem Blick nach draußen; obwohl wir keine Freunde hatten, hätte ja unvorangemeldet Besuch kommen können, der sonstwas von uns halten könnte. Oder fast schon testamentaisch vor dem Urlaubsantritt (auch, wenn es bedeutete, völlig erschöpft die Reise anzutreten), man könnte ja aus dem weiten Deutschland nicht mehr zurück kehren - was denken bloß die Nachlassverwalter? Im Lauf der Zeit ist mir aufgegangen, dass sich dadurch recht aseptische Familienkulissen stilisiert haben, in unserem Haus, im Nachbarhaus und dem Haus daneben. Mit teilweise fatalen Folgen. Dass Devianz absolut sanktioniert war, die Einbauküche und eine xxl-Wohnlandschaft Garanten für Rechtschaffenheit und Situiertheit sein durften. Als ich zum ersten Mal eine Berliner Altbauwohnung betreten habe, mit hohen, lichten Räumen, das Unperfekte, Zugige in jeder Dielenritze erkennen durfte habe ich mich in die vielen Makel der Freiheit verliebt. Das Grauen meiner Mutter. Aus dem umfassenden "Meine Tochter ist..." bin ich längst ausgebrochen - und es wird daher auch keinen Weg zurück ins Requisitendasein geben. Auch, wenn das Bild, das meine Eltern anderen von mir zeigen können, dadurch immer mehr an Konturen verliert. Ich weiß, dass ich unordentlich bin - und meinen Freundinnen ist das so vertraut wie der Geruch meines Parfums und der frische Schweiß meiner Haut. Ich kann die Distanz, in der ich in meiner Jugend zu anderen und auch mir selbst aufgewachsen bin, nicht mehr mit meinem Leben vereinbaren. Auch meine Chaosfähigkeit und die irgendwie versöhnlich-humorvolle Art, damit umzugehen gehören mir. Wie (fast) alles, was sich in meiner Wohnung drapiert. Ich lebe in dem Zustand, den ich auch allen anderen zumuten würde. Es sei denn, meine Mutter kommt. Dann wird vorher geputzt. Denn mich will sie nicht sehen, sondern lediglich ihre Tochter. Der Beitrag wurde von LadyGodiva bearbeitet: 19.Jul.2008 - 12:01 |
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